Boris Pikula

MENTAL COACH - LIFE COACH - LEADERSHIP COACH - Heilpraktiker für Psychotherapie
 

Studio Miraval - Schule des Lebens im Paradies

Meine Zeit Mitte bis Ende der Neunziger, die ich als Studio-Assistent und Tontechniker auf Miraval verbrachte, war ohne Zweifel mit die schönste meines Lebens - aber gleichzeitig auch die mitunter lehrreichste und härteste.


Ich lebte in Marseille und hatte von dem mysteriösen, großen Tonstudio Miraval gehört aber keiner konnte mir sagen, wo es lag (das Internet war noch in seinen Babyschuhen). Meine aktive Karriere als Musiker war zu der Zeit langsam am Ausklingen und ich arbeitete mehr und mehr als Toningenieur und Produzent in kleinen Studios in und um Marseille.

Meine erste, große Tonstudio-Erfahrung vor Miraval machte ich zunächst 1995, im Studio La Blaque, in der Nähe von Aix-en-Provence. Soweit ich mich noch erinnern kann, gehörte das Studio dem Neffen einer Frau, die dem französischen Komponisten Maurice Ravel gedient hatte und die Rechte seines bekannten Klassikers "Boléro" nach seinem Tod geerbt hatte. Sie war also sehr reich. Als der Neffe sich in einer Lebenskrise befand, fragte sie ihn, was er gerne mit seinem Leben anstellen würde. Er antwortete, er würde gerne eine Tonstudio haben. Somit finanzierte sie ihm seinen Traum: eine wundervolle Domaine, ausgestattet mit dem besten und feinsten Equipment. Doch der Traum hielt nicht lange an, denn schon kurze Zeit später verschwand La Blaque wieder im Nirwana. Nichts desto trotz hat es in seiner sehr kurzen Geschichte ein paar bekannte Künstler beherbergt und Tonträger herausgebracht, wie z.B. Fredericks Goldman Jones, die Hip-Hop Band IAM oder Jimmy Barnes, dem australischen Joe Cocker, mit dem ich, zusammen mit dem Produzenten Joe Hardy (ZZ-Top, etc.), dort an der Aufnahme seines Albums "Psyclone" gearbeitet hatte, welches im Studio Miraval fortgesetzt wurde, da Jimmy die gesamte Crew und Studiobelegschaft aus Mangel an Professionalität feuerte.

Letztlich jedoch, ich weiß nicht mehr wie, hielt ich endlich die Adresse von Miraval in meinen Händen. Ich setzte mich sofort hin und schrieb eine Bewerbung, die nur so strotzte vor Rechtschreibfehlern, denn so gut auch mein gesprochenes Französisch war, so grottenschlecht war es in Schreibform. Es war mir egal. Ich wollte mich um jeden Preis dort bewerben und dort arbeiten! Ich wollte unbedingt in professionelle Kreise und Studio Miraval hatte bereits einen Haufen sehr bekannte Künstler vor Ort gehabt: Pink Floyd, Yes, UB 40, AC/DC, Sting, Chris Rea, The Cure, David Sylvian, Lords of the New Chruch, Alain Bashung, Gypsy Kings, Sade, Wham, Gary Moore, The Cure, The Cranberries und viele, viele weitere (später, Anfang 2000, auch Rammstein, die dort das Album "Mutter" aufgenommen hatten).

Die Zeit verging und fast glaubte ich schon, meine Bewerbung wäre im Mülleimer gelandet. Doch eines Tages hatte ich eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter. Ich traute meinen Ohren nicht. Es war Patrice Quef, der Chef des Studios. Er wollte mich treffen. Ich rief sofort zurück und wir machten einen Termin aus. Mit meine alten Renault 5 fuhr ich etwa 1 Stunde Richtung Brignoles (und hoffte nicht mitten auf der Strecke stehen zu bleiben), wo nicht weit entfernt davon die Domaine Miraval liegt - damals sehr verborgen. Die unauffällige Einfahrt zur Domaine ging fast unsichtbar von der Landstraße ab und man wäre nie auf die Idee kommen, dass sich dort, mitten in der Var, eines der bekanntesten Studios der Welt versteckt.

 

Nach der Waldeinfahrt waren es noch zwei oder drei Kilometer holpriger Feldweg, bis sich dann plötzlich, nach einer Biegung, die Domaine wie in einem Märchen, umgeben von Weinfeldern, vor einem zeigte. Es war einfach ein Traum und jedes Mal, wenn ich dort hinfuhr und um die Biegung kam, erfüllte es mich mit dem gleichen, wundervollen Gefühl. Vorbei an einem kleinen Teich mit Schwänen auf der linken Seite und der rechten das Hauptgebäude der Domaine zeigte ein kleines Holzschild die Richtung nach links zum "Studio", nach rechts zur "Cave", dem Weinkeller, an.

Ich erinnere mich noch gut. Patrice, stets mit einer Pfeife im Mund, und ich saßen am großen Esstisch im Studio-Wohnzimmer und unterhielten uns. Es war sehr warm, die Fenster waren überall auf, sodass ein angenehmer Durchzug zu spüren war und man die Grillen zirpen hörte - Südfrankreich halt. Am Ende sagte Patrice, dass er mich bei der nächsten Gelegenheit kontaktieren würde. Diese Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten.

Ich konnte es kaum glauben, ich war nun tatsächlich dort beschäftigt. Miraval bekam viele Bewerbungen von ausgebildeten Tontechnikern aus der ganzen Welt. Ich konnte da bei weitem nicht mithalten. Ich hatte mir alles selbst beigebracht. Doch für das Studio zählte primär die "Attitude" und offenbar hatte ich die. Aber nicht nur ich konnte es nicht glauben nun dort zu arbeiten, auch viele andere nicht. Ich hatte einige Neider, die mir meinen Platz nicht gönnten. Never mind. Für mich wurde es ein zweites Zuhause.

So rief mich Patrice immer wieder an, wenn Künstler das Studio buchten und es war immer total spannend, wer nun das nächste Mal dort sein würde, um sein neues Album aufzunehmen.

Doch so aufregend wie es war, so hart konnte es auch sein. Ich war der erste, der das Studio morgens, um 6 oder 7 Uhr startklar machte und der letzte, der es abends (meistens nach Mitternacht) zusperrte. Nicht selten hatte ich nur drei oder vier Stunden Schlaf - natürlich manchmal auch, weil ich bis in die Morgenstunden mit den Künstlern am Pool rumhing und eine Flasche köstlichen Miraval Wein nach der anderen unter klarem Himmel und Mondschein leerte.


Wenn die Produzenten und Künstler morgens das Studio betraten, musste alles perfekt vorbereitet sein. Fehler konnten zum sofortigen Rauswurf führen. Ich lernte dort sehr, sehr viel - nicht alleine nur über Aufnahmetechnik, sondern auch über Psychologie, Kreativität, eiserne Disziplin, eine "geht nicht, gibt's nicht-Einstellung", Hilfsbereitschaft und Achtsamkeit. Nicht selten nahm ich auch mal die Rolle als Synchronübersetzer ein, da ich als einziger im Studio alle drei Sprachen, englisch, französisch und deutsch, fließend beherrschte und das Klientel so gut wie immer International war. Den Platz am großen Mixtisch musste man sich hart erarbeiten. Daher bezeichne ich diese Erfahrungen auch oft als "The Roots of Rock 'n' Roll Therapy". Das Musik-Business galt Langezeit als eines der härtesten Gewerbe - es konnte zerstörerisch sein aber auch Charakter prägen und formen.

Doch der ungemein herzliche Spirit von Patrice und seine absolute Begeisterung an Musik bildeten stets das Fundament des Studios und gaben ihm seinen Charme. Miraval war nicht Luxus. Miraval war simple, provencale, einladend, offen, warm, lebendig, kreativ, "heavenly down-to-earth". So gab es natürlich auch immer viel zu Lachen. Mit am spannendsten und auch lehrreichsten wahren oft die Geschichten, die Künstler, Toningenieure und Produzenten über die Entstehung von bereits erschienenen Alben und anderen Studios oder anderen Künstlern erzählten, wie z.B. daß David Gilmour, der Gitarrist von Pink Floyd, während den Aufnahmen für das Album "The Wall" Teile seiner Gitarre in der kleinen Kapelle auf der Domaine aufgenommen hatte, da er die natürliche Akustik der Kapelle haben wollte. Die vielen zig anderen Stories verkneife ich mir an dieser Stelle ;)


Ich hatte mir zu der Zeit in Marseille ein kleines aber feines und recht gut ausgestattetes CD-Mastering Studio in Marseille namens "Killa Herz" eingerichtet, wo ich gelegentlich auch Produktionen aus Miraval auf eine Master-CD brannte, die anschließend den Presswerken als Vorlage diente, um große Mengen herzustellen.

Da die Domaine und das Studio vollkommen in die umgebene Natur integriert waren, konnte es auch mal vorkommen, dass man eine Gottesanbeterin oder Fledermäuse im Aufnahmeraum hatte, eine Schlange unter der Bettdecke vorfand oder einen Skorpion im Bad. Ich hatte mein Zimmer im Turm über dem Studio, wo auch oftmals die Produzenten untergebracht waren und sorgte aus gutem Grund dafür, dass tagsüber Fenster und Tür geschlossen waren.

Das Studio wurde 1977 von dem bekannten Jazz-Musiker Jacques Loussier gegründet, der, zusammen mit dem Toningenieur und Studio-Chef Patrice Quef, dort lebte. Die Domaine ist so groß, dass die Künstler während ihrer Zeit dort in eigenen Pavillon-Häuschen wohnen. Studio Miraval war seinerzeit bereits mit dem feinsten Equipment ausgestattet, darunter auch eines der ersten SSL-Konsolen - der Rolls Royce unter den Mixkonsolen - die auch heute noch ihren Platz dort hat. Und wenn es mal an etwas fehlte, dann wurde es halt aus Paris oder London bestellt oder eingeflogen.

Später, ab 2008, lebten Brad Pitt und Angelina Jolie auf der Domaine und die Aktivität des Studios war bis zur Neueröffnung von Brad und Damien 2022, am Ruhen. Patrice Quef starb im Frühjahr 2021 und mit ihm eine ganz besondere Epoche der Musikgeschichte auf der Domaine Miraval. Die Zukunft wird nun zeigen, wie sich das nächste Kapitel entwickelt.


Weitere Links:

Studio Miraval - Wikipedia

Billboard Presents: Tour of Miraval Studios With Brad Pitt & Damien Quintard

Miraval Studios - Reopening 2022

Brad Pitt und sein neuestes Projekt: Das passiert jetzt im Château Miraval


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